Rules of mental hygiene

Wie die etlichen mediengeschichtlichen Exkurse gezeigt haben, reagieren Menschen oft unverhältnismäßig pessimistisch oder optimistisch auf neue Medien und Technologien. Kathrin Passig leitet aus den von ihr angeführten Reaktionen drei Regeln ab, die uns einen rationaleren Umgang mit neuen Technologien ermöglichen sollen.

Regel Nr. 1: Hände waschen

[...] Wenn Sie in irgendeinem Beruf arbeiten, in dem es wichtig ist, dass Sie neue Entwicklungen verfolgen und verstehen und in Ihre Arbeit integrieren – und davon gehe ich bei allen Anwesenden aus –, dann sollten Sie es sich zur Gewohnheit machen, Neues grundsätzlich auszuprobieren, auch wenn es auf den ersten Blick albern und nutzlos wirkt. Und das wird es. Ausprobieren ist wie das Händewaschen im Krankenhaus: Es ist lästig und man muss es immer wieder machen, einmal reicht nicht und einmal die Woche reicht auch nicht. Aber man muss es machen, denn wenn man diesen einfachen Schritt vernachlässigt, dann macht man dadurch die ganze gute Arbeit zunichte, die man ansonsten leistet. [...] 

Regel Nr. 2:  Keine Meinung über neue Technologien äußern, die man noch gar nicht ausprobiert hat

Mit „ausprobiert“ meine ich: dem Neuen eine ehrliche Chance geben, nicht nur mal im Vorbeigehen einen Blick drauf werfen und zwei Tasten drücken. Bei meiner Mutter und ihrem iPad hat diese Phase drei Monate gedauert. Das heißt: Nicht aktiv zu einer veränderungsresistenten Kultur beitragen, zum Beispiel indem man sagt: „Das brauch’ ich nicht. Das braucht doch keiner. Es lohnt doch gar nicht, sich damit auseinanderzusetzen.“ Wenn man nicht gerade Journalist ist, hat man meistens die Möglichkeit, über neue Entwicklungen einfach zu schweigen. [...] Wenn man routinemäßig Innovationen schlechtredet, die man noch gar nicht richtig ausprobiert hat, dann fördert man dadurch schlampiges Denken. Man fördert es im eigenen Kopf und man fördert schlampiges Denken in den Köpfen der Mitarbeiter, die sich anhören, wie man sagt: „Also, selbstfahrende Autos, der Blödsinn geht mir jetzt wirklich zu weit“, oder: „Coworking Spaces, wird schon wieder so was sein“. Man braucht gar kein neugieriger Early Adopter zu sein. Man muss nicht mal wie einer reden. Es reicht schon, wenn man nicht wie jemand redet, der sich für die Gegenwart nicht interessiert. Veränderungen sind immer komplex und wir müssen diese Komplexität entspannt hinzunehmen lernen. [...]

Adoption Curve

Regel Nr. 3:  Laubhaufen anbieten

Damit meine ich: eine Umgebung schaffen, die es für einen selbst oder das eigene Unternehmen leichter macht, mit dem Neuen zu experimentieren. Es ist wie mit Igeln im Garten. Igel im Garten sind beliebt, aber wenn man einen haben möchte, geht man nicht auf die Suche nach einem Igel. Sie sind schwer zu finden, unangenehm nach Hause zu tragen, und am Ende will der Igel wahrscheinlich auch gar nicht bleiben. Wenn man jedoch eine igelfreundliche Umgebung schafft, kommen sie von allein. Für Igel ist diese Umgebung zum Beispiel ein Laubhaufen. Für die eigene Fähigkeit, sich an die Gegenwart anzupassen, mit der Gegenwart zurechtzukommen, heißt das, dass man das Experimentieren erleichtern muss.
Wir neigen dazu, in unseren Routinen festzustecken, und wir versuchen unser fehlendes Verständnis unserer Umgebung mit trägen Standardargumenten zu kaschieren. Wenn man es sich zur Gewohnheit macht, Neues auch dann auszuprobieren, wenn es sich unnütz oder lästig anfühlt, und wenn man seine Angehörigen und Mitarbeiter nicht aktiv vom Herumprobieren abhält, dann hilft das.

  1. Reflektieren Sie Ihren eigenen Umgang mit neuen Technologien.
  2. Nehmen Sie sich zwei Wochen Zeit und experimentieren Sie aktiv und initiativ mit den drei Regeln in Bereichen der Digitalisierung, die Sie bislang eher gemieden haben (z.B. in das Netzwerk Twitter einzutauchen, einen Blog einzurichten und zu führen, eine neue App auszuprobieren, im Praktikum die Schülerinnen und Schülern ausdrücklich zur Nutzung der Smartphones und des Internets, zu Kommunikation und zu Kollaboration zu ermutigen und aufzufordern etc.)
  3. Dokumentieren und diskutieren Sie Ihre Erfahrungen mit Regel 1-3 nach diesen zwei Wochen zusammen mit Ihrer Lerngruppe, wir werden in Modul 06 darauf zurückkommen.